2006—2009
Kente
Kente ist ein Webstoff und wird aus einzelnen Bahnen mit verschiedenen Mustern zusammengesetzt. Dadurch entstehen farbenfrohe handgewebte Unikate. Jede dieser einzelnen Bahnen hat eine Breite von ungefähr acht bis zehn Zentimetern, die Länge richtet sich nach dem Verwendungszweck des Stoffes. Kente wird auf einem sog. Teppichwebstuhl in derart feiner Webart fertiggestellt, dass nur ein genauer Blick die linke von der rechten Stoffseite unterscheidet.
Kente gilt als ein Mittel, den nationalen Zusammenhalt zu fördern, und hat durchaus politische Bedeutung. Ghanaische traditionsorientierte Männer tragen Kente-Stoffe an einem Stück wie eine römische Toga gewickelt. Frauen tragen an Festtagen Kente-Wickeltücher um die Hüften und dazu ein maßgeschneidertes Oberteil. Ein weiteres Tuch trägt die ghanaische Frau, wenn sie sich traditionell kleidet entweder als Accessoire um die Schulter oder in einer breiteren Variante als Tragetuch für den traditionellen Transport der Babys auf dem Rücken.
Ursprünglich bestanden Kente-Stoffe aus Baumwolle und wurden mit Pflanzenfarben eingefärbt. Später, etwa ab dem 17. Jahrhundert, wurde auch in Afrika Seide eingeführt und für das kostbare Kente verwendet. Reine Seide als Rohmaterial wurde nie eingeführt, also lösten die Weber die fertigen importierten Seidenstoffe auf und verwendeten diese aufgelösten Seidenfäden in ihren Kentestoffen wieder. Heute besteht Kente aus Baumwolle, Seide oder Viskose. Seide und Viskose werden immer noch importiert.
Meine Kente werden in Ghana nach meinen Vorlagen aus Baumwolle gewoben. Sie sind als Decken über Betten, Sofas oder Stühle gedacht.
Kelim
Unter dem Sammelnamen Kelim versteht man gewebte Teppiche ohne geknüpften Flor. Der klassische Kelim besteht aus einer Kette aus Wolle oder Ziegenhaar und einem das Muster bildenden Schuss.
Die Webtradition konzentriert sich hauptsächlich auf die Regionen von Anatolien (Türkei), dem Kaukasus, Iran, Gebiete also, die stark unter dem Einfluss der islamischen Kultur stehen.
Meine Kelims sind in der Türkei und im Iran in der traditionellen Webtechnik nach meinen Vorlagen, aus reiner Wolle mit pflanzlichen Farben, angefertigt.
«(...) kosmische Motive sowie Mäanderverläufe bilden die bildsprachliche Grundlage.»
Schon seit Jahrtausenden sind gewobene Tücher, Stoffe und Teppiche in vielen Regionen und Gesellschaften der Welt nicht nur Gegenstände des täglichen Gebrauchs, sondern vielmehr ein wesentlicher Ausdruck der je eigenen kulturellen Identität eines Volkes.Dass diese identitätsstiftende textile Kultur im Laufe der Entwicklung globaler Wanderbewegungen und des globalen Handels zu einem beliebten Gut des Sammelns sowie des kulturellen, handwerklichen und ästhetischen Austausches geworden ist, ist kaum verwunderlich. Ebenso vermag es nicht zu erstaunen, dass die kulturübergreifende Kunst des Webens Eingang ins moderne Kunstschaffen gefunden hat. So geschehen bei Letizia Enderli, die sich im Laufe ihres Schaffens der Tradition des «Kelim» und des «Kente» gewidmet hat.
Hat der «Kelim», der zumeist aus Wolle oder Ziegenhaar besteht, seine Wurzeln in Anatolien und steht somit unter dem Einfluss der islamischen Kultur, wird die Kunst des aus Baumwolle und teilweise auch Seide gefertigten «Kente» vorwiegend in Ghana gepflegt. Stets auf der Suche nach den archetypischen ästhetischen Grundlagen der menschlichen Kultur und des Einzelnen findet Enderli in der Tradition der «Kelim» und der «Kente» sogleich in eine symbiotische künstlerische Beziehung mit der Webkunst der fremden Meister, welche ihre Entwürfe in ihrem jeweiligen Heimatland gekonnt umsetzen. In enger Anlehnung an ihre Eisenplastiken sowie ihre «Findings and Bindings» bilden bei Letiza Enderlis Textilarbeiten nebst Farbfeldkompositionen erneut kosmische Motive sowie Mäanderverläufe die bildsprachliche Grundlage.