Das Werk von Letizia Enderli schöpft aus zwei Quellen: derjenigen des Traumes und derjenigen der Natur. Diese beiden Welten treffen sich dort, wo einerseits die Naturformen im Laufe der Zeit Symbolcharakter bekommen haben und sich andererseits die Träume und Visionen in natürlichen Abläufen konkretisieren und sich dabei in archetypischen Formen manifestieren. Und sie treffen sich bei den Naturvölkern, bei denen Traum und Alltagsrealität nur diffuse Grenzen kennen, wo beide Wirklichkeiten ineinanderfliessen und fast eine Einheit bilden. Naturvölker wie Australiens Ureinwohner, die Aborigines, aber auch diejenigen Amerikas, kennen diesen Zustand heute noch.
Das Bewusstsein, Teil der Natur zu sein, und die Orientierung nach den natürlichen Gesetzmässigkeiten wie Ebbe und Flut oder dem Wechsel der Jahreszeiten, aber auch der Umgang mit den Energien, die die Erde, das Gestein für naturverbundene Völker in sich tragen, haben Letizia Enderli immer schon fasziniert. Einfache, urtümliche Motive, die sich auch im Formschatz solcher Völker finden. Motive wie etwa Sicheln, Kreise, Dreiecke, Spiralen, Zick-Zack-Linien und Sterne tauchen immer wieder — jeweils unterschiedlich umgesetzt — in den Skulpturen von Letizia Enderli und ihren aus diversen Materialen zusammengefügten Objekten auf.
Schon früh ist sie mit dem Kunsthandwerk in Kontakt gekommen. Ihr Vater führte eine traditionelle Buchbinderei nach altbewährter Art mit hohem Qualitätsanspruch. Bei ihm hat sie in den frühen 1970er Jahren Papier geschöpft und zwei Jahre lang das Buchbinderhandwerk gelernt, den sicheren Umgang mit einem fragilen Material, das dennoch fest gehandhabt und behutsam in stabile, funktionstüchtige Form gebracht werden muss — eine Fertigkeit, die ihr später zugute kam, z.B. als es um ihre «Bindings» ging, die ohne Leim problemlos zusammenhalten.
Zur selben Zeit fand ihre erste Begegnung mit der zeitgenössischen Kunst statt. Sie begann in der Zürcher Filiale der international tätigen Galerie Maeght zu arbeiten. In den acht Jahren, in denen sie dort aktiv war, kam sie in Kontakt mit arrivierten Künstlern aus vielen Ländern und begegnete anderen, freien künstlerischen Konzepten. Diese Erfahrungen nahm Letizia Enderli sehr aufmerksam auf, obwohl sie damals noch nicht ahnte, dass sie später einmal selbst mit ähnlichen Fragestelllungen konfrontiert werden sollte. Besonders beeindruckte sie das surrealistische Werk von Meret Oppenheim. Sein Einfluss (Der Einfluss von Oppenheims Arbeiten) sowie die damalige intensive Beschäftigung von Letizia Enderli mit der Psychologie von C.G. Jung und der Welt des Unbewussten waren die Auslöser für die Freisetzung der eigenen Kreativität, die sie seit langer Zeit verspürte, aber bis dahin nicht richtig umzusetzen wagte.
So entstanden seit ungefähr 1982 kleine, heiter-skurrile Zeichnungen, die zunächst für die Künstlerin nur privaten Charakter hatten und die sie als eine Art privates bildnerischen Tagebuch betrachtete. Diese Zeichnungen enthalten jedoch im Kern schon das ganze Formvokabular, das in ihren Objekten und Skulpturen allmählich Gestalt annehmen sollte. Die dort auftauchenden Formen sind poetische Notationen von seelischen und mentalen Zuständen, wie sie die Künstlerin in ihrer langen Beschäftigung mit Psychologie aber auch mit östlicher Philosophie erfahren hat.
Ihre ersten Objekte waren klein und aus gebranntem Ton, modelliert. Es sind surreale Figuren, kleine Fabelwesen, halb Mensch, halb Tier oder Objekt, ungemein frisch und dekorativ in ihrer Farbenfreudigkeit. In der Buntheit und Unbekümmertheit, was z.B. den Umgang mit vertrauten Proportionen angeht. Den Skulpturen einer Niki de St. Phalle verwandt, verfügen sie über ein unverwechselbares eigenes Motivvokabular und Formempfinden, das ihnen Eigenständigkeit und Originalität verleiht. Der häufige Gebrauch auch von Gold- und Silberfarbe lässt diese ungewöhnlichen Objekte wie kleine Kostbarkeiten erscheinen.
Durch die Verwendung von Eisen, einem neuen Material, das sie 1991 zum ersten Mal einsetzte, veränderte sich ihre Arbeit. Sie wurde strenger, klarer, weniger verspielt, ohne jedoch ihren poetisch-verträumten Charakter einzubüssen. Letizia Enderli respektierte das neue Material und seine Vorgaben, die ihr auch den veränderten Stil diktierten. Ihr Formvokabular ist geblieben: Mondsicheln, Kreise, Dreiecke und Zacken fügen sich in die neuen Skulpturen ein, die zwar viel grösser, aber weniger plastisch als ihre früheren, modellierten Figuren sind und wegen ihrer starken Linearität wie Zeichnungen im Raum wirken. Die Farbigkeit, die in ihren Eisenskulpturen praktisch völlig in den Hintergrund tritt, findet sich weiterhin in den Holz- und Materialobjekten, die teilweise parallel zu den Eisenfiguren entstanden sind.
Im Jahre 1991, während einer Reise nach Arizona, war sie von den sog. «Zuni» -Fetischen fasziniert, kleinen Skulpturen aus verschiedenen Naturmaterialien, die einem Indianerstamm als Schutzobjekte für rituelle Zwecke dienen. Dass sie sich davon inspirieren liess, wurde ihr erst klar, nachdem sie einige Hölzer, Steine und Federn, die sie seit Jahren schon auf Exkursionen und Reisen gesammelt hatte, zu kleinen Objekten zusammengebunden hatte — zu «Souvenirs», «Bindings» oder «Findings», wie sie sie nennt.
Beide Pole ihrer Arbeit — auf der einen Seite durch Kraft gebändigtes, hartes, in klare Form gebrachtes Material bei ihren Eisenskulpturen, auf der anderen Seite behutsam zusammengefügte vorgefundene Naturgegenstände bei ihren Objekten — haben ihre gemeinsamen Wurzel in Letizia Enderlis tiefem Interesse am Ursprünglichen, Verborgenen und in ihrer Suche danach — ob das nun die Natur und das ungebrochene Wissen der Naturvölker oder archetypische Zeichen unseres Unbewussten sind, die in jedem von uns eine Ahnung von Vertrautheit hervorrufen, ohne dass wir sie konkret bezeichnen könnten.
Text: Katerina Vatsella,
«Zu den Arbeiten von Letizia Enderli» Text im Katalog zur Ausstellung in der Kassenhalle, Bremen
25. September bis 20. Oktober 1995
Teefotos
Entwürfe für Kelims und Kente
Erste Eisenskulpturen
Autodidaktische Beschäftigung mit Zeichnung, erste Objekte aus bemaltem Ton
Mitarbeit in der Fotostiftung Schweiz, Winterthur
Vertretung der Edition Peter Blum, New York in Europa
Mitarbeit in der Galerie Maeght Zürich
Biografie
seit 2011
2003 — 2010
1991
1982
1983 — 2011
1982 — 84
1973 — 82
Galerie Susi Brunner, Zürich (Sonderausstellung)
«Souvenirs, Findings und Bindings» Kunstraum Petja Kaufman, Zürich
Sparkasse Bremen (mit Katalog)
«Werkschau 1992 — 1997» Kunsthaus Richterswil (mit Katalog)
Erste Präsentation von Kelims, Sempacherstrasse 19, 8032 Zürich
Neue Kelims und Kente, Ausstellungsraum Oberwil / Nürensdorf
Letizia Enderli, Kentes / Daniela Roderer, Keramik / Christian Karrer, Federobjekte, Möbelhalle Martin Hauser Zürich
Teatime — Letizia Enderli - Fotogafien / Grazia Conti Rossini — Porzellan, Kunstraum Egg
«Essenzen», Alte Spinnerei Murg / James Licini Stahlbau
Letizia Enderli Fotografien / Antoinette Simmen Objekte + Malerei, Kunstraum Egg
Ausstellungen
1992
1993
1994
1997 / 98
2005
2006
2010
2017
2019 / 2021
2019
Skulpturenausstellung auf dem Gelände der Schule für cerebral Behinderte in Dielsdorf (mit Katalog)
Galerie Kaj Forsblom, Zürich
«Freiräume», Galerie GE Marie-Louise Wirth, Winterthur
Skulpturengarten Klinik Lindberg, Winterthur
Gruppenausstellungen
1993
1995
1996
2010
Werke in öffentlichen Sammlungen
Maerki Baumann Collection MBC, Zürich
Kulturort & Galerie Weiertal, Maja von Meiss, Winterthur
Kontakt
Letizia Enderli lebt und arbeitet in Zürich und Oberwil / Nürensdorf.
Alle Arbeiten — exklusive jene in Privatbesitz — sind verkäuflich, Preise auf Anfrage.